Ulrich Sack
„Der Künstler stellt sein Werk selber vor“: das kommt mir stets ein wenig seltsam vor, wenn es, wie doch hier, ausführlich zu besichtigen ist, denn ich kann mich kaum präziser äußern.
Aber der Wunsch nach Erläuterung dessen, was an Wänden hängt, ist alt und, zum Teil, verständlich: „…. Die erste Organisation des Künstlers, seine Erziehung und Ausbildung von der Wiege an, sein Zeitalter, sein Wirkungskreis und sein Wohnort, alles arbeitet mit vereinten Kräften, eine eigentümliche Stimmung in ihm hervorzubringen, auf eine bestimmte und beschränkte Art Ideenverbindungen in seine Seele zu legen und seiner Phantasie herrschend zu machen, die in der Folge auf den Zuschauer vielleicht eine ganz andere als die gewünschte Wirkung thun. …“
So hat es, vor etwa zweihundert Jahren: 1790, der Schriftsteller Georg Forster während einer Reise, die er zusammen mit Alexander von Humbold den Niederrhein entlang unternahm, in Düsseldorf aufgeschrieben.
Ich will also versuchen, dem Bedürfnis nach Erklärung einigermaßen zu genügen und lasse mir dabei, noch einmal, von Georg Forster helfen. In seinen „Ansichten vom Niederrhein“ steht in dem Abschnitt, der ‚Antwerpen‘ überschrieben ist, über die ‚Mechanik der Malerei‘: „… Den Künstlern kann man es nicht oft genug wiederholen, daß die treue Nachahmung der Natur keineswegs der Zweck der Kunst, sondern nur Mittel ist; daß Wahrscheinlichkeit ihr mehr als Wahrheit gilt, weil ihre Werke nicht zu den Wesen der Natur gehören, sondern Schöpfungen des menschlichen Verstandes, Dichtungen sind; daß die Vollkommenheit dieser Geistesgeburten desto inniger empfunden wird, je unauflösbarer die Einheit und je lebendiger die Individualität ihres Ganzen ist; endlich, daß Schönheit ihr vollendetes äußerliches Gepräge und zugleich ihre innewohnende Seele bleiben muß. ..“
Abgesehen davon, daß über den Begriff ‚Schönheit‘ inzwischen trefflich gestritten wurde – und, weiterhin, wird, gilt nach wie vor, daß Kunst nicht nachahmt, nicht ‚findet‘, sondern Neues schafft: erfindet; daß, selbst wenn Gefundenes verwendet wird, etwas völlig Eigenes entsteht; daß dies ein Spiel von Demiurgen ist.
Ich spiele also: mit Strichen und Flecken auf Papier oder Leinwand; erforsche sie, verstärke, variiere, wiederhole und übermale sie. Am Ende ergibt sich meist, musikalisch ausgedrückt, polyphones Neben- und Durcheinander verschiedener Stimmen – mal führt die eine, dann eine andere, mitunter wird es lustvoll kakophon.
Es sind gefundene und ausgedachte Zeichen, Chiffren, derer ich mich bediene, mit deren Hilfe ich mich äußere: ‚linkisch‘, das heißt, einerseits, mit der „anderen“: der linken Hand; andererseits, allgemein gültigen Regeln nicht folgend, Erwartungen widerstehend: auf ‚fremde‘ Art und Weise. Ein jedes Zeichen ist stets die implizierte und notwendige Reaktion auf das, was vorher war, und es fordert und impliziert das jeweils nächste. Kein Strich bedeutet dabei mehr, als er tatsächlich ist; keiner dient der Illustration eines allgemein bekannten Begriffs (zum Beispiel ‚Baum‘) oder irgendeines anderen Gegenstands. Ich zeige nicht, was einer oder eine woanders schon sah, sondern das, was ist.
Ein Zitat aus unserer Zeit: „…Der Spieler will nicht Macht, er will Spiel, dies Ineinandergreifen von Zufall und Regel. Und angesichts des Todesversprechens ist die einzig verläßliche Grundlage die Absurdität, und alle Spielzüge sind Gegenspielzüge, Spielzüge gegen den Tod. Vor dem dunklen Horizont nimmt sich menschliche Kreativität als der zum Scheitern verurteilte Versuch aus, dem Tod die Stirn zu bieten und gleichzeitig dem Sinnlosen Sinn zu geben. Spiel ist der Entschluß, nicht länger einen Sinn zu suchen, sondern ihn zu entwerfen. ..“ So hat es der Philosoph Vilem Flusser formuliert.
Es ist auch der halsbrecherische Versuch zu schweben: halb neben dem Abgrund und halb darüber – der Demiurg: ein Dädalus.
Die Bilder, schließlich, sind allein die sichtbaren Ergebnisse dieses höchlichst subjektiven Unternehmens; unerläßlich als Belege, als Dokumente dieses andauernden Prozesses; das, was „ab-fällt“ und: aus der Hand, nämlich weg-zu-geben. Und, natürlich, zugleich die Einladung, hinzukucken, mitzudenken, nachzufühlen – sie als veritable Fahrkarten zu gebrauchen für eine Reise in die Phantasie dessen, der sie (sich) erfunden hat; ebenfalls dieses angelegentlich riskante Unterfangen zu wagen: selber, auf die jeweils eigene Weise, zu spielen.